Gedanken zur Inszenierung
Liebes-Blicke
Gibt es sie wirklich, die Liebe auf den ersten Blick?
Bislang war mir im Zusammenhang mit der Sage um den thrakischen Sänger Orpheus vor allem bewusst, dass mancher Blick für eine große Liebe der letzte sein kann. Doch angesichts der großartigen Deckengemälde im herzöglichen Palast in Mantua, in den – als Ort der Uraufführung des „Orfeo“ von Monteverdi – es mich in der Vorbereitung verschlagen hatte, war ich derart ergriffen, ja hingerissen von der Kunst Mantegnas und seiner Werkstatt, dass der Entschluss reifte, drei dieser Gemälde in den Zenit einer „Musik-Himmels-Sonnen-Leiter“ zu stellen, die „Camera degli sposi“, das Brautgemach zum Zeitpunkt der Hochzeit, die „Sala del labirinto“, das Labyrinth, welches als Inschrift auf den Pfaden zum Zentrum „Vielleicht ja, vielleicht nein“ als Sinnbild für den Versuch, mit dem Weg in die Unterwelt die ehernen Gesetze der Götter außer Kraft zu setzen, steht, und schließlich die „Sala del zodiaco“ mit seinen Sternbildern, der im mantuanischen Palazzo den Vorraum zum vermutlichen Ort der Uraufführung ziert.
Die Beschäftigung mit dem Schaffen Monteverdis stellt einen Dirigenten vor immer neue Herausforderungen, ist akribische Schatzsuche und kreative Schöpfungsarbeit zugleich. Und die Partitur des „Orfeo“, mit seiner Entstehung im Jahre 1607 eines der ersten Werke der jungen Gattung Oper überhaupt, ist durch ihre Genauigkeit in den Angaben zur Orchesterbesetzung und durch den bereits zwei Jahre nach der ersten Aufführung erschienen Erstdruck (die beiden anderen erhaltenen Opern Monteverdis sind uns nur in handschriftlich lückenhaften Abschriften erhalten) das noch am weitesten vom Komponisten „festgelegte“ Werk. Dennoch steht diesen Forschungsarbeiten die immense Vielfalt der musikalischen Möglichkeiten, durch abwechselnde Verwendung der Continuo-Instrumente, durch wechselnde Positionen der Instrumentalisten und durch das Ausarbeiten der gesungenen Verzierungen in enger Zusammenarbeit mit den Sängern, gegenüber. Wie anders wird die Haltung eines Sängers seiner dramaturgischen Situation gegenüber, wenn er von der weichen Harfe, von einer tief-samtigen Chitarrone oder gar vom schnarrenden Regal begleitet wird.
Hat man nun noch die unschätzbare Möglichkeit, das Dirigent und Regisseur gleichermaßen seiner Lieblingsoper „auf den Leib“ zu rücken, erweitern sich diese kreativen Herausforderungen noch um ein Unendliches, so viele Bilder, Gedankengänge, Querverbindungen evoziert dieser Mythos, dieser Text, diese Musik. Was hat es zu bedeuten, das der Stil der orphischen Gesänge („Rosa del ciel“ im ersten, „Possente spirto“ im dritten Akt) sich derart von den Gesängen der mit ihm seine Hochzeit feiernden Freunde unterscheidet, viel freier, improvisierter, fortgeschrittener wirkt?
Hat er womöglich vor Jahren, bei seiner Ankunft in jener Gegend, aus der die schöne Eurydike stammt, die Menschen mit seinen Gesängen verzückt, ist jedoch, im Gegensatz zu diesen, bereits viel fortgeschrittener in seiner Kunst, wird womöglich selbst von seiner Braut künstlerisch nicht mehr verstanden? Und sieht daher im Plan, die Unterwelt durch seinen Gesang zu erweichen und seine Gattin zurückzugewinnen, vor allem die Möglichkeit, die Grenzen der Kunst zu erkunden und zu überschreiten? Hat nicht nach Ovid sein Gesang bewirkt, dass Sysiphos sich auf seinen Stein setze, um ihm zu lauschen, dass Tantalos nicht mehr nur Sand zum Trinken aus dem Fluss schöpfte, ja dass sogar das Feuerrad des Ixion plötzlich innehielt? Warum dann nicht auch den weiteren Schritt gehen?
Ein besonderes Vergnügen stellt das „Erfinden“ von (zur Zeit Monteverdis üblichen) sängerischen Verzierungen dar, wenn man bereits eine Haltung, einen Charakter, eine Beziehungs-Konstellation vor Augen hat. Als Beispiel sei das furchtbare Ehe-Verhältnis der Unterwelts-Götter genannt. Proserpina, durch Vergewaltigung ans Schattenreich und seinen Fürsten gefesselt, sucht – und in unserem Fall szenisch und sängerisch! – nach Auswegen aus ihrer ausweglosen Situation. (Auch dies eine Beobachtung auf meiner Orfeo-Reise nach Mantua und Venedig: Ehepaare beim Hotel-Frühstück, über deren Köpfen riesige Sprechblasen mit „Warum bin ich nur mit diesem schrecklichen
Kerl hier???“ zu schweben scheinen.)
Schließlich der Gedanke, die allegorische Figur La Musica an Orfeos Seite die schicksalhaften Wege beschreiten zu lassen, seine Gesänge zu deuten, ihm Helferin und Warnerin zu sein. Und hat er dann schließlich den Glauben an die Kraft der Musik verloren, verstummt sie dann nicht auch, fehlen ihr dann nicht die Worte?
Auf dem Spaziergang durch Mantua, dieser Perle einer Renaissance-Stadt, vom Palazzo Ducale zum Palazzo Té, stehe ich plötzlich vor einer Hauswand, auf der mit schwarzem Spray ein Grafitti gesprüht ist: „Ti amo principessa…Torna da me!“ („Ich liebe dich,Prinzessin! Komm zu mir zurück!“)
Der ewigwährende Mythos des Orpheus…
L'Orfeo
Favola in musica von Claudio Monteverdi
Premiere am 16.3.2013, Landesbühnen Sachsen
Musikalische Leitung und Inszenierung: Jan Michael Horstmann
Bühne: Stefan Wiel
Kostüme: Berit Mohr
Peter Diebschlag (Orfeo)
Anna Erxleben (La Musica)
Miriam Sabba (Euridice)
Silke Richter (Messagera,Speranza)
Hagen Erkrath (Caronte)
Paul G. Song (Plutone)
Patrizia Häusermann (Proserpina)
Andreas Petzoldt (Appolo, Pastore)
Uta Simone/ Antje Kahn (Ninfa, Spirito)
Fred Bonitz (Pastore, Spirito)
Chor der Landesbühnen Sachsen
Mitglieder der Elbland Philharmonie Sachsen
Szenen aus dem 5.Akt
Médée
Tragédie en musique von Marc-Antoine Charpentier
Premiere am 17.5.2014, Landesbühnen Sachsen
Musikalische Leitung und Inszenierung: Jan Michael Horstmann
Bühne: Stefan Wiel
Kostüme: Berit Mohr
Silke Richter (Médée)
Peter Diebschlag (Jason)
Paul G. Song (Créon)
Miriam Sabba (Créuse)
Kazuhisa Kurumada (Oronte)
Antje Kahn (Nérine)
Chor der Landesbühnen Sachsen
Ensemble Charpentier (auf historischem Instrumentarium)
Mozart - Wunderkind
Brief- Collage von Jan Michael Horstmann
Premiere am 25.10.2014, Landesbühnen Sachsen
Inszenierung. Jan Michael Horstmann
Ausstattung: Paul Bauer
Olaf Hörbe (Leopold)
Jonas Münchgesang (Wolfgang)
Judith Speckmaier (Nannerl)
Parthenogenesis
Musiktheater von James MacMillan
Deutsche Übertragung von Jan Michael Horstmann
Deutschsprachige Erstaufführung am 21.3.2015, Landesbühnen Sachsen im Luisenstift Radebeul
Musikalische Leitung: Hans-Peter Preu
Inszenierung: Jan Michael Horstmann
Bühne: Stefan Wiel
Kostüme: Nina Reichmann
Maria Geringer (Anna)
Miriam Sabba (Kristel)
Kazuhisa Kurumada (Bruno)
Mitglieder der Elbland Philharmonie Sachsen
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Interview im Programmheft
Herr Horstmann, Sie kennen Oliver Korte schon seit vielen Jahren. Wie kam es zu dieser kontinuierlichen Zusammenarbeit?
Die erste Begegnung fand noch zur gemeinsamen Studienzeit an der Musikhoschschule in Hamburg statt. In einer Phase, in der die meisten Dirigier-Studenten ihre Nasen nur in Brahms- und Mahler-Partituren steckten, hatte ich gerade eine Aufführung von Rihms „Jakob Lenz“ dirigiert und war sehr offen für Neue Musik. Und Oliver Korte war auf der Suche nach Musikern für die Uraufführung seiner „Wintergesänge“, einem Kammerstück nach japanischen Haikus, die ich dann mit Begeisterung dirigiert habe, ein wahres Meisterwerk für einen so jungen Studenten!
„Copernicus“ ist die erste Komposition von Oliver Korte für Musiktheater: Wie steht diese in Verbindung mit dem bisherigen Schaffen des Komponisten?
Ich habe in all den Jahren den Werdegang Kortes sehr intensiv verfolgt und auch für einige Uraufführungen verantwortlich gezeichnet, so die „Szenen“ für großes Orchester, das „Lichtstück“ und einige andere. Es gab sogar schon mal einen gemeinsamen Plan für ein Musiktheaterwerk, das ist aber viele Jahre her, damals waren wir noch zu jung. Nun hat der Komponist auf faszinierende Weise über die Jahre seines Schaffens immer mehr das Klingen des gesamten Raumes, in dem Musik aufgeführt wird, in den kompositorischen Blickpunkt geholt. So haben wir bereits bei der Uraufführung seiner „Epiphanie“ das Orchester im Kreis um die Zuhörer angeordnet, welches fasziniert dem „wandernden“ kreisenden Klang folgte. Und vor genau vier Jahren habe ich „Copernicus-Material“ in der Fassung für Streichorchester in den USA uraufgeführt, ein Stück, dass, ohne direkt zu zitieren, sich mit dem kompositorischen Material beschäftigt, auf dem nun auch die Oper basiert.
Laut der Titel seiner Kompositionen inspirieren Oliver Korte Farben und Jahreszeiten, Wasser und Licht, aber auch Kies, Glas oder Frost zum Schreiben von Musik. Nach der klanglichen Untersuchung chemischer Elemente weitet er nun seinen Blick ins All. Was fasziniert Sie als Dirigent und als Regisseur an dem Werk „Copernicus“, das Sie aus der Taufe heben?
Ich bewundere Kortes große Kunst, Musik nach streng seriellen Grundlagen zu schreiben, die dennoch eine sehr große, den Zuhörer direkt ansprechende Sinnlichkeit ausstrahlt. Und die Vorstellung, durch die Positionierung der Musiker das Universum, in dem wir nur so ein kleines Sandkörnchen sind, auch hörbar zu machen, fasziniert mich sehr. Dazu kommt die ungeheure Vielschichtigkeit der ausgewählten Texte, die ein Kaleidoskop der Renaissance, dieser Zeit, in der sich der Mensch völlig neu definiert und orientiert hat, vor uns ausbreitet. Eine große und spannende Aufgabe für den Regisseur, zwischen Figuren, die Texte von Chemikern und Poeten, Astronomen und Astrologen singen, die nicht in direktem Zusammenhang stehen, Beziehungen und Spannungsbögen zu erarbeiten.
„Copernicus“ ist ein Auftragswerk der LBS, aber nicht die einzige Uraufführung im Spielplan 2015/16: Ist hier eine Tendenz erkennbar?
Nicht zufällig hat der Sänger und Musikwissenschaftler Guido Hackhausen das Thema „Zeitgenössische Oper der DDR am Beispiel der Landesbühnen Sachsen“ zum Thema seiner Dissertation gemacht und wiederholt darauf hingewiesen, was für einen hohen Stellenwert Uraufführungen des Musiktheaters hier immer hatte. Nun haben wir im März mit der Aufführung von James MacMillans „Parthenogenesis“ einen ersten Schritt zu Wiederbelebung dieser Tradition getan. Dass wir nun die Saison mit einer solchen Uraufführung, die ja als Auftragskomposition ganz im Zeichen der Kooperation zwischen den Landesbühnen Sachsen, der Elbland Philharmonie Sachsen und HELLERAU steht, erfüllt mich mit großem Stolz und mit der Vorfreude auf weitere Entdeckungen auf diesem Gebiet!
Copernicus
Opera spaziale von Oliver Korte
Koproduktion der Landesbühnen Sachsen, der Elbland Philharmonie Sachsen und
Dem Europäischen Zentrum der Künste Dresden- Hellerau
Uraufführung am 3.10.2015, Festspielhaus Hellerau
Musikalische Leitung und Inszenierung: Jan Michael Horstmann
Ausstattung: Stefan Wiel/Paul Bauer
Video: Julius Günzel
Stephanie Krone (Sopran solo)
Kazuhisa Kurumada (Bariton solo)
Madrigalquartett:
Antje Kahn, Patrizia Häusermann,
Peter Diebschlag, Bojan Heyn
Sarah Bauer (Sprecherin)
Utz Pannicke (Sprecher 1)
Manuel Schöbel/Moritz Gabriel (Sprecher 2)
Elbland Philharmonie Sachsen